Dank der Uni hatte ich Gelegenheit zusammen mit einer Kommilitonin am diesjährigen Publishers‘ Forum in Berlin teilzunehmen, daher gibt es heute mal einen Blogbeitrag in Form eines Erfahrungsberichts.
Die zweitägige Veranstaltung stand unter dem Motto „How to Reconstruct Publishing: Competing Visions, Channels and Audiences“ und das Programm, das aus Workshops, Podiumsdebatten und Vorträgen mit bekannten deutschen und internationalen Publishing-Experten bestand, klang vielversprechend.

Los ging es Montagmorgen mit einer beeindruckenden Rede der Autorin Kathrin Passig, die sich kritisch an die Verlage wendete, weil diese durch ihre traditionellen Arbeitsweisen viele der neuen Möglichkeiten, unter anderem für das kollaborative Schreiben von Büchern, nicht nutzen und damit auch den Autoren das Leben erschweren. Ein eindrückliches Beispiel war die Veröffentlichung eines E-Books: Über den Verlag Sobooks dauerte es mehrere Tage und brauchte mehr als 100 E-Mails, bei Amazons KDP war der Titel innerhalb von 15 Minuten (inkl. Registrierung) veröffentlicht.
Danach sprach Rolf Griesebach vom britischen Kunstverlag Thames & Hudson sehr detailliert darüber, was sich für seinen Verlag verändert hat und wie sie das zum Positiven nutzen:
- veränderte Vertriebsanteile: vor allem neue Vertriebskanäle wie Museumsshops sind für ihn ein Wachstumsmarkt
- Globalisierung: Der Verlag ist international aktiv, aber hat in jüngster Vergangenheit die regionalen Büros (z.B. in Australien) ausgebaut, um Trends vor Ort schneller zu erkennen
- Kooperation mit Wettbewerbern im Ausland, um größere Kunstprojekte zu stemmen oder auch Partnerunternehmen für gemeinsame Marketingaktionen zu gewinnen, wenn man eine ähnliche Zielgruppe ansprechen möchte
- Auf Nachfrage erklärte er jedoch auch, dass das E-Book bisher bei T&H noch keine große Rolle spielt.
Die letzte Keynote stammte von Jacob Dalborg von der schwedischen Bonnier-Gruppe (eine der wenigen Reden bei dieser Konferenz ohne Powerpoint – eine angenehme Abwechslung). Er konzentrierte sich auf die Digitalisierung und die damit verbundenen Herausforderungen für Verlage – dabei blieb er aber im Vergleich zu seinem Vorredner sehr allgemein. Seine wichtigsten Aspekte lauteten:
- Pricing: Das in der digitalen Welt komplexer ist und (zumindest in Ländern ohne Preisbindung) sehr flexibel gestaltet werden sollte, um den Umsatz zu maximieren.
- Marketing: Die Verlage müssen die Leser beim Auffinden der Bücher unterstützen und dafür ist es unerlässlich Kundenbeziehungen aufzubauen.
- Fehlendes Know-how: In den Verlagen werden neue Mitarbeiter benötigt, die zum Beispiel ihr Know-how im Bereich Analyse einbringen können.
Nach der ersten Kaffeepause entschied ich mich für die Podiumsdiskussion „Know your Customer and Don’t be Afraid“, leider blieb kaum Zeit für Diskussionen, weil die vier Gäste zunächst jeweils selbst eine Präsentation von ca. 15-20 Minuten hielten. Dabei waren die Vorträge von Matt Turner (MarkLogic) und von Constanze Landsberg (Skoobe) am eindrücklichsten, weil sie sehr plakativ über eigene Erfahrungswerte und Zahlen berichteten. Matt führte an zwei Praxisbeispielen (law.com und die App von Saturday Night Live) aus, wie man Kundendaten nutzen kann, um die Produkte noch stärker an deren Bedürfnissen auszurichten, während Constance erzählte, was die Flatrate-Kunden von normalen Lesern unterscheidet (72 % lesen Bücher, die sie nicht gekauft hätten, viele nutzen die Flatrate um neue Autoren und Genres zu testen, die Kunden kaufen trotzdem noch E-Books/Bücher, lesen mehr und verzichten dafür auf Fernsehen/Spiele).

Am Nachmittag fanden verschiedene Workshops statt: ich entschied mich für einen zum Thema „Marktdaten als praktische Anwendugn für Publikumsverlage“ und bekam einen spannenden Einblick, was sich auch mit wenigen Daten durch Clusterung (z.B. Absatzzahlen und Social-Media-Verknüpfung) und unterschiedliche Auswertungensarten in Erfahrung bringen lässt (Jens Klingelhöfer, bookwire) oder wie Big Data-Analysen für die Programmarbeit von Verlagen genutzt werden kann (Heiko Beier, moresophy). Dazu ein witziges Beispiel: Regionalkrimis sind laut Rezensionsauswertung genauso brutal wie Schwedenkrimis, aber verkaufen sich besser, wenn sie auch noch humorvoll sind. Die Beraterin Christa Beiling gab dann noch Tipps aus ihrer langjährigen Erfahrung zu einer marktorientierten Programmplanung.
Nach so viel Input litt meine Aufmerksamkeit beim letzten großen Themenblock für diesen Tag „IT wird zur zentralen Bühne“ etwas. Allerdings stellte sich auch in Gesprächen mit anderen Teilnehmern heraus, dass es nicht nur an meiner fehlenden Konzentration lag, sondern die Referenten oft am Thema vorbei geredet und eher allgemein bekannte Fakten über die Internetentwicklung nachgebetet hatten (unter anderem gab es in zwei Präsentationen eine Grafik zu dem, was in 24 h im Internet produziert und konsumiert wird).
Volker Smid sprach nicht wirklich über die IT-Integration bei Holtzbrinck, sondern warb nur dafür alles in die Cloud zu packen mit dem Argument, dass eigene Server und deren Wartung viel zu teuer sind und man diese Leistung lieber von Unternehmen einkaufen sollte, die sich damit auskennen. Unrecht hat er damit nicht, aber gerade nach den Sicherheitsskandalen der letzten Jahre ist der Gedanke an die Cloud für Verlage doch eher mit Vorsicht zu genießen.
Rüdiger Schmidt (Bosch-Druck) erzählte von der neuesten Generation an Digitaldruck-Maschinen, mit deren Nutzung der jahrhundertelang geltende Grundsatz: größere Auflagen = günstigere Stückherstellkosten aufgelöst wird, weil man nun mit einem Einheitspreis pro Stück rechnen kann, was natürlich auch große Auswirkungen auf die Kalkulation im Verlag hätte.
Zu guter Letzt fand Ralf Biesemeier (Readbox) vor allem kritische Worte: Ja, der digitale Marktanteil wächst und kann die Umsatzverluste aus dem Printgeschäft nicht kompensieren. Gleichzeitig steigt die Medienkonkurrenz und die AUfmerksamkeitsspanne der Kunden sinkt, woraus kleinere Zielmärkte entstehen, die man trotzdem effizient bedienen sollte. Nur die Frage nach dem wie wollte er nicht beantworten. Wie so oft an diesem Tag fehlten die Lösungsansätze.
Bevor der Tag beim gemeinsamen Abendessen ausklingen konnte, gab es noch einen eher ungewöhnlichen Gast für eine solche Veranstaltung. Colin McElwee, der Gründer von World Reader, einem Leseförderungsprojekt für Entwicklungsländer, erzählte von den Erfahrungen mit diesem Projekt (sehr erfrischend, dass es mal nicht um Umsatzzahlen und Kundendaten ging). Aber ich will nicht zu viel verraten, weil ich darüber demnächst nochmal einen ausführlichen Artikel hier im Blog schreiben möchte.
Wie so oft bei solchen Veranstaltungen ist das Spannendste die Zeit, die man zwischen den Vorträgen zum Networking hat und so haben wir beim Abendessen beispielsweise mit dem sehr sympathischen Simon Littlewood (ehemaliger International Director von Random House UK) am Tisch gesessen und viel über seine Zeit beim Aufbau der asiatischen Divisionen erfahren. Beim Mittagessen konnte ich außerdem mit Marlies Hebler von bookwire über das Jahrestreffen der Jungen Verlagsmenschen sprechen und sie als Rednerin gewinnen.
Der zweite Tag lief ähnlich ab wie der erste – viele Reden und Debatten mit klugen, mahnenden Worten, aber wenig Konkretes, wie die Transformation funktionieren kann.
Nachmittags gab es noch einen ganz interessanten Workshop, der seinen Namen endlich auch mal verdient hat, weil es nicht nur um Frontbeschallung ging, sondern die Teilnehmer zur aktiven Beteiligung aufgerufen waren. Es ging um „Neue Arbeitsabläufe und Prozessoptimierung in Verlagen“ und wurde von Christian Damke (Open Publishing) und von Zoe Beck (Culturbooks) geleitet. Wir sind die verschiedenen Abteilungen, die ein Verlag benötigt, um ein Buch erfolgreich auf den Markt zu bringen, Schritt für Schritt durchgegangen und haben verglichen, welche Unterschiede zwischen der alten, traditionellen Arbeitsweise und den neuen Prozessen (insbesondere bei digitalen Produkten) bestehen.
- Rechte-Einkauf: Während bisher vor allem mit Agenturen gearbeutet wurde, entstehen durch Selfpublishing und Content Development neue Akquisemöglichkeiten.
- Lektorat: Als wichtigste Trends wurden kollaboratives Arbeiten, Outsourcing und die Wandlung des Jobs zum Produktmanager genannt.
- Herstellung: Hier ging es vor allem um die Formatvielfalt, die eine Anpassung der Workflows und viel neues Know-how benötigt.
- Werbung: Während früher vor allem vor und zum Erscheinungstermin und über klassische Medien geworben wurde, wird Werbung insbesondere für E-Books erst nach Erscheinen (und zumindest bei Amazon erst nach Erreichen einer gewissen Sichtbarkeit) und über längere Zeiträume interessant.
Die letzte offizielle Veranstaltung sollte noch einen Ausblick geben, auf das, was die Publishing-Branche in den kommenden Jahren erwartet. Dabei sprachen Jörg Rheinboldt (Axel Springer Plug & Play Accelerator), Benjamin Wüstenhagen (K.lab) und erneut Zoe Beck über ihre Erfahrungen mit ihren Unternehmen.
Jörg, dessen Firma in Medien-Start-ups investiert, wünscht sich mehr Start-Ups, die auch Inhalte kreieren und nicht nur neue Wege der Präsentation und Agglomeration entwickeln.
Ben berichtete von den Herausforderungen seiner Plattform meinunterricht.de, die Materialien für Lehrer in einem Flatrate-Modell bereitstellt (Qualität durch Kooperation mit Bildungsverlagen, unterschiedliche Anforderungen der verschiedenen Bundesländer, bisher keine direkte Abrechnung über die Schulen möglich) und Zoe erzählte von den Vorteilen einen reinen Digitalverlag zu gründen (flexible Veröffentlichung auch von einzelnen Kurzgeschichten, rasche Veröffentlichung von aktuellen Themen, Möglichkeit zum Experimentieren), allerdings muss sie auch oft genug den Kundenservice für die Leser spielen, die Fragen zum E-Reading haben (also anscheinend nicht zur Digital-Native-Zielgruppe gehören).
Nach einem kleinen Sektumtrunk hieß es dann auch schon Bye-Bye Berlin und mit einigen Bahnschwierigkeiten ging es zurück in den Uni-Alltag.
Fazit: Es war eine spannende Veranstaltung, auch wenn ich inhaltlich bis auf die wenigen Insights aus einigen Unternehmen, nicht so viel Neues erfahren habe. Aber es freut mich, dass sich zumindest inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass in den Verlagen ein Umdenken stattfinden muss.
Viel interessanter war es allerdings für mich, bekannte Leute aus der Publishing-Szene persönlich kennenzulernen – vor allem auch von den Verlagsdienstleistern, die ich als Arbeitgeber sehr spannend finde und von denen ich viele vorher nicht kannte.